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Kultur

Der ewige Hamster

Feuilletonredakteur
Die Bundesregierung rät zu Vorratskäufen – und schon reden alle wieder vom „Hamstern“. Dabei ist das Wort die Kopfgeburt eines Antisemiten

Ende der Sechzigerjahre konnte man als Junge in einem niedersächsischen Dorf auf diverse Arten Geld verdienen, die alle mit dem Töten von Tieren zu tun hatten: Entweder man trieb den Jägern im Herbst oder Winter auf den Feldern Hasen vor die Flinte oder man fing Spatzen und Hamster – für jeden toten Vogel gab es bei der Genossenschaft einen Groschen, für Hamsterfelle eine Mark.

Heute sind Hamster nicht zuletzt als Folge solcher Ausrottungskampagnen selten. Dem Hamster ist zum Verhängnis geworden, dass er hamstert. Hamster galten genau wie Spatzen als Schädlinge, weil sie Getreidekörner fraßen. Die Hamster knickten die Halme, um an die Körner heranzukommen. Ihr Name kommt wohl über den Umweg über Russland aus dem Iran – genau wie die Hamster selbst aus den Steppen Asiens zu uns eingewandert sind. Im Altkirchenslawischen sind die Wortformen chomestor und chomestar überliefert, die die Etymologen auf Altiranisch-Avestisch hamaestar zurückführen, das die Bedeutung „wer nieder-, zu Boden wirft“ hatte – gedacht war dabei an die Getreidehalme.

Weil die Hamster ihre Backentaschen mit Körnern füllen und Vorräte in ihren Löchern anlegen, wurde das Wort hamstern schon im frühen neunzehnten Jahrhundert gleichbedeutend mit „Schätze anhäufen, sparen“. 1822 schrieb Hartwig von Hundt-Radowsky, einer der Urväter des modernen Antisemitismus in Deutschland, in seinem Buch „Die Judenschule“: „Ausgelernt auf alle Schelmereien und Pfiffe, dreist, gewandt und schwatzhaft weiß der kleine Jude bereits in einem Alter, wo der Christ kaum die Münzen seines Landes kennt, und oft noch Messing für Gold, Zinn für Silber ansieht, Reichthümer und Schätze zusammen zu hamstern, die man unter seinen Lumpen nicht ahnen sollte.“ Es ist geradezu ein Lieblingswort dieses Autors, der schon vorher mit seinem Pamphlet „Judenspiegel“ 1818 und seinem Roman „Truthähnchen“ 1820 einen Hass auf die nach Gleichberechtigung strebenden Juden propagiert hatte, in dem die Lösung nur deren physische Auslöschung sein konnte.

Sehr verbreitet ist das Verb in den folgenden 90 Jahren nicht gewesen. Im entsprechenden Band des Grimmschen Wörterbuchs von 1877 hat es keinen eigenen Eintrag, sondern wird nur unter dem Substantiv Hamster erklärt als „gierig zum Munde führen“, an gleicher Stelle ist auch einhamstern mit Bedeutung „habsüchtig zusammenscharren“ verzeichnet. All diese Wörter werden als sächsisch oder thüringisch identifiziert, und dort, in Mitteldeutschland, kannte man auch den Hamsterschrank als Ausdruck für einen Vorratsschrank mit vielen Fächern.

Wie naheliegend der Vergleich zwischen menschlichen Geizkragen und fetischistischen Sammlern ist, zeigt eine Stelle aus Georg Simmels „Philosophie des Geldes“ von 1900, in der er sich auslässt über die „psychologisch sehr merkwürdige Sammelsucht jener Persönlichkeiten, die das Volk den Hamstern vergleicht: Menschen , die kostbare Sammlungen jeglicher Art aufspeichern, ohne von den Gegenständen selbst einen Genuss zu ziehen, ja oft sogar, ohne sich überhaupt noch weiter um sie zu kümmern.“

Erst im Ersten Weltkrieg wird hamstern wirklich populär und gleich wieder mit antisemitischer Stoßrichtung. Erich Mühsam schreibt am 1. Mai 1916 in seinem Tagebuch: „,Hamstern‘ ist das neueste Schlagwort der Presse und des Publikums, und die ,Hamster’ dienen jetzt, wie vordem Juden und Wucherer, als Sündenböcke für den steigenden Nahrungsmittelmangel.“

Auch Victor Klemperer bezeugt die Entstehung einer neuen, bösartigeren Bedeutung von hamstern im hungrigen Deutschland. In „Curriculum Vitae“ zitiert er aus seinem Tagebuch von 1917: „Natürlich hatte ich hamstern für Vorräte speichern schon vor dem Kriege gekannt: da war es ein bildlicher und poetischer Ausdruck ohne feststehende moralische Wertung gewesen. Wer wie ein Hamster sammelte, konnte ebenso gut ein vorsichernder Hausvater wie ein habgieriger Geizhals sein. In der Spezialbedeutung und Wertung, die es während des Weltkriegs enthielt, hatte ich hamstern sicherlich auch schon ein paar Mal nennen hören, doch kaum vor meiner Rückkehr aus Kowno. Aber ganz aufgegangen, ganz geläufig geworden ist es mir erst in Driburg, wo sich mancher Leute Leben darum drehte und wo man kein Gespräch führen konnte, ohne darauf zu stoßen. Jetzt hieß hamstern das dem Volksinteresse zuwiderlaufende, das unsittliche und verbotene Aufspeichern von Vorräten, die an eine Vielzahl hätten verteilt werden sollen.“

Hintergrund des Hasses auf die Hamsterer ist die durch die Blockade und die Kriegswirtschaft verursachte Nahrungsknappheit. Inbegriff all dessen, war der „Steckrübenwinter“ von 1916/17, in dem sich vor allem Menschen in der Stadt ohne die Möglichkeit, sich illegal andere Nahrungsmittel zu beschaffen, fast ausschließlich von der verhassten Hindenburgknolle in allen denkbaren Variationen – Steckrübensuppe, Steckrübenauflauf, Steckrübenkoteletts, Steckrübenpudding, Steckrübenmarmelade oder Steckrübenbrot – ernährten. Um dem abzuhelfen, versuchte manch einer auf dem Land, direkt bei den Bauern irgendetwas aufzutreiben. Das „Berliner Tageblatt“ berichtet am Montag, dem 5. März 1917, von Polizeirazzien in den Zügen, mit denen solche Ausgehungerten nach Berlin zurückkehrten: „Einzelne Gendarmen gingen sehr streng vor, führten die Personen, bei denen sie Lebensmittel fanden, ab oder beschlagnahmten diese zum mindesten. Andere Beamte begnügten sich mit ,Verwarnungen‘ oder stellten die Namen der ,Hamster‘ fest.“

Von da an war Hamster, Hamsterer und hamstern in der übertragenen Bedeutung aus der deutschen Sprache nicht mehr wegzudenken. In einem Jahrhundert voller Notzeiten hatte man allzu oft Bedarf dafür, und bald gesellten sich Ableitungen wie Hamsterkauf, Hamsterware und Hamsterpreise dazu. Inflation, Weltkriege und Nachkriegszeit machten hamstern nötig und verliehen dem Feindbild des Hamsterers frische Farbe. 1942 zeigte ein von Max Eschle gestaltetes Propagandaplakat der Nazis eine Hausfrau mit Nagetiergesicht, die in zwei Körben Seife, Wolle, Makkaroni, Öl, Wurst und Konserven nach Hause schleppt, einen Schuhkarton hat sie unter den Arm gesteckt. Der moralische Appell in Großbuchstanden lautet: „Hamsterin schäme dich!“

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Hamstern erlebt nach dem Zweiten Weltkrieg eine letzte Blüte. Es gehörte zum gleichen Vokabular des Mangels wie Schieber, Kohlenklau, Schwarzmarkt und fringsen – letzteres nach dem Kölner Kardinal Joseph Frings, der in seiner Silvesterpredigt 1946 Mundraub in Notzeiten zur lässlichen Sünde erklärt hatte. Wiederaufbau, Wirtschaftswunder, moderne Massenproduktion und die industrielle Landwirtschaft haben das Wort hamstern obsolet werden lassen – in der Bundesrepublik früher, in der DDR deutlich später.

Eine völlig unerwartete Nachblüte hat das Wort Hamsterkäufe am Wochenende erlebt, als bekannt wurde, dass die Bundesregierung ein neues Zivilschutzkonzept verabschieden will, welches der Bevölkerung empfiehlt, sich mit Vorräten für zehn Tage einzudecken. Das Hashtag #hamsterkäufe trendete auf Twitter. Grund zur Panik besteht deswegen wohl nicht. Nachweislich ging es Deutschland immer dann besonders dreckig, wenn die Regierungen das Hamstern verboten – nicht, wenn sie es ausdrücklich empfahlen. Trotzdem weckt schon die Vorstellung, dass man jemals wieder auf Gehamstertes zurückgreifen müsse, statt sich jederzeit im Supermarkt alles Nötige besorgen zu können, milde Zivilisationspanik. Es hilft nicht, wenn man bei Erich Mühsam an der schon zitierten Tagebuchstelle von vor 100 Jahren liest: „Ich begrüße die ,Hamsterei‘ als ein Mittel zur Beschleunigung der Katastrophe.“

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